Kürzlich hatte ich ein interessantes Gespräch mit dem Geschäftsführer eines mittelständischen Technologie-Unternehmens. Er wollte von mir wissen, welche Incentives ich für besonders wirksam halte und ob Zuschuss zu Job-Rad und Gym sich lohnen. Auf meine Erfahrungen reagierte er zunächst überrascht. In meinen Projekten zeigt sich nämlich deutlich, dass beispielhaft benannte Incentives zwar „nett“ sind, aber allenfalls als Puffer wirken, wenn insgesamt die Arbeitsbedingungen ungünstig sind.
Viel wichtiger ist Mitarbeitenden, dass sie ihre Arbeit gut ausführen können, dass beispielsweise passende Arbeitsmittel verfügbar sind und für sie nachvollziehbar ist, wie sie zum „Großen Ganzen“ einen Beitrag leisten.
Ungünstige Arbeitsbedingungen verstärken die Kündigungsbereitschaft
Ungünstige Arbeitsbedingungen hingegen werden als Zumutung erlebt, da diese die eigentliche Arbeit behindern. Unklarheiten in der Arbeitsorganisation, wenig abgestimmte Prozesse oder Führungshandeln, das als wenig verlässlich und unterstützend erlebt wird, sind häufig benannte Handlungsfelder. Werden diese Themen nicht bearbeitet, verstärken diese die Kündigungsbereitschaft von Mitarbeitenden. Die Dringlichkeit zu handeln ist offensichtlich. Zumal ohnehin knapp die Hälfte der Beschäftigten laut aktuellem Gallup-Engagement-Index auf dem Sprung oder zumindest offen für einen Wechsel sind.
Mich überrascht auch, wie häufig nach wie vor die Erwartungen im Zusammenhang mit mobilem Arbeiten nicht gut geklärt sind. Zusammen mit einer Entgrenzung der Arbeitszeit hat das großen Einfluss auf die mentale Gesundheit.
Was also tun?
In vielen Organisationen sind individuelle Programme wie Yogakurse und Achtsamkeitstrainings weiter angesagt. Und der Obstkorb hat sich zwischenzeitlich fast überall zum Standard entwickelt. Die Crux ist allerdings, dass Wellbeing-Programme und Präventionsangebote, die rein auf individueller Ebene ansetzen, keine statistisch signifikanten Auswirkungen auf Wohlbefinden, Arbeitszufriedenheit und Mitarbeiterbindung haben. Anfang des Jahres wurden dazu mehrere Studien im britischen Guardian zitiert.
Gegen innere Kündigung hilft auch kein Yogakurs. So könnte man die aktuelle Situation beschreiben. Vielmehr geht geringe emotionale Bindung sogar mit höheren Fehlzeiten einher.
Echte Arbeit statt sinnlose Beschäftigung
Um das Wohlbefinden von Mitarbeitenden zu verbessern, weisen die Forschenden ebenfalls auf die zentrale Bedeutung der strukturellen Aspekte der Arbeit hin. Bessere Entlohnung, sichere Arbeitsverhältnisse, flexible Arbeitszeitmodelle und Möglichkeiten zur Weiterentwicklung werden als Ansatzpunkte benannt. Auch der Abbau sinnloser bürokratischer Verfahren, das Erleben psychologischer Sicherheit (Link zum Artikel) sowie ein Führungshandeln, das darauf ausgerichtet ist, gesunde Arbeitsbedingungen zu schaffen tragen dazu bei, dass sowohl die Gesundheit als auch die Produktivität gefördert werden.
Diese Studienergebnisse unterstreichen die systemtheoretische Grundannahme, dass Verhältnisse maßgeblich das Verhalten beeinflussen. Mein Verständnis von echter Arbeit ist eng an den Beitrag der einzelnen zur Wertschöpfung gekoppelt.
Kaum etwas schafft mehr Verbindung und trägt zum Erleben von Wirksamkeit bei, als das gemeinsame Lösen von Kundenproblemen.
Was es in Ihrem Unternehmen braucht, um echte Arbeit zu ermöglichen, dazu kann es keine Blaupause geben.
Meine Empfehlung: Gehen Sie in einen moderierten Austausch mit Ihren Mitarbeitenden, hören Sie gut zu und versuchen Sie, zu verstehen. Als Expert:innen ihrer Arbeitssituation können Mitarbeitende sehr gut einschätzen, wo die Schmerzpunkte sind und was bereits gut läuft. Bei genauer Analyse wird deutlich, dass hinter den benannten Zumutungen meist strukturelle Probleme liegen.
Gute Führung – ein wirksamer Hebel
Verlässliche Zusammenarbeit, gut abgestimmte Prozesse und Gestaltungsspielräume sind wirksame Hebel, der inneren Kündigung etwas entgegen zu setzen. Laut aktueller Gallup-Umfrage kann die emotionale Bindung von Mitarbeitenden auf bis zu 40% gesteigert werden, wenn Unternehmen aktiv an der Qualität der Führung und des Arbeitsumfeldes arbeiten.
Beispiel aus der Praxis
Beim Do care-Kongress im November 2023 habe ich einen Prozess der agilen Organisationsentwicklung in einer öffentlichen Verwaltung vorgestellt.
Als Fortführung der Gefährdungsbeurteilung psychische Belastung wurden in einem iterativen Prozess Ansatzpunkte zur Weiterentwicklung einer gesunden Arbeitskultur identifiziert. Wenn Sie mehr über die Vorgehensweise und die Erfolgsfaktoren erfahren möchten, können Sie sich hier das PDF zum Praxisbeispiel downloaden.
Die Projektgruppe hat im Laufe unserer Zusammenarbeit ganz konkrete und leicht umsetzbare Maßnahmen entwickelt. So wurden beispielsweise neue Formate des Austauschs etabliert, Prozesse angepasst und weiter entwickelt. Noch mehr als die Ergebnisse haben mich allerdings die Veränderungen beeindruckt, die im Laufe des Prozesses zu beobachten waren. Der Austausch sowohl in den Arbeitstreffen der Projektgruppe als auch in den Reviews mit dem Führungsteam wurden vielfältiger. Im Rahmen dieser moderierten Gespräche öffneten sich immer wieder kleine Fenster der „echten Begegnung“. Diese Momente bildeten ein starkes Kontrasterlebnis, da sie eine bewusste Verlangsamung des sehr eng getakteten und auf Ergebnisse und Effizienz ausgerichteten Arbeitsalltags darstellten.
„Heute habe ich erst richtig verstanden, was die Mitarbeiter:innen bewegt.“
Diese Aussage einer Führungskraft war ziemlich berührend für die Beteiligten im Projekt. Dass die Führungskraft sich so offen zeigte, das war ein Novum. Diese Aussage war ein Wendepunkt in der Kommunikation und klang bei allen Beteiligten nach. Für mich war deutlich zu beobachten, wie in der Kommunikation im weiteren Verlauf des Projektes deutlich stärker aufeinander Bezug genommen wurde.
Überhaupt ging es immer weniger darum, die anderen von der eigenen Idee zu überzeugen oder diese gar durchzusetzen. Vielmehr entstand ein Raum, in dem kontroverse Diskussionen möglich wurden und gemeinsam um die bestmögliche Lösung gerungen wurde. Während sich anfangs immer wieder die gut eingeübte Frage „Wer hat Schuld?“ einschlich, wurde es über die Zeit immer besser möglich, Zugriff auf die organisationalen Fragen zu bekommen. Eine wichtige Grundlage für nachhaltige Veränderungen.
Fazit
Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels lohnt sich die Investition in gesunde Arbeitsbedingungen und verlässliche Zusammenarbeit. Der Return on Investment für Maßnahmen, die an den Bedingungen ansetzen, liegt bei 1:5,6. Jeder investierte Euro zahlt sich mehrfach aus.
Wenn Arbeit als Ressource erlebt wird, Zumutungen reduziert werden und Mitarbeitende eine hohe emotionale Bindung erleben, beabsichtigen diese viel eher, auch in drei Jahren noch für ihr aktuelles Unternehmen tätig zu sein.
Lassen Sie uns gern zu diesen Aspekten ins Gespräch kommen!
Ich bin gespannt auf Ihre Fragen.